Kappadokien – Tuffstein, Ballons und Tourismus satt
03. bis 11. September 24 – Von Aksaray nach Göreme
Radreisetag 21: Von Aksaray nach Selime
Mich weckt der Gedanke an das nahe Ihlara-Tal ebenso auf wie plötzliche Überlegungen, welche Teile meines Gerätezoos ich am dringendsten aufladen muss, war ich doch abends plötzlich eingeschlafen, ohne alles eingesteckt zu haben. Und dass die Wäsche noch nass im Waschbecken liegt statt aufgehängt zu sein. (Das übliche Aufgabenpaket, wenn man mal in einem Zimmer übernachtet.)
Es bleibt aber noch Zeit dafür, denn meine Strecke heute ist nicht weit. Nach Frühstück und Checkout sitze ich noch zwei Stunden in der Hotellobby, das Wlan für Fotosicherungen und ähnliches nutzend.
In der Stadt dann ist es lebendig. Sehr angenehm lebendig, ich könnte den Menschen hier ewig zuschauen. Ein Mann schenkt mir kaltes Wasser, ein paar Mal werde ich zum Tee eingeladen, nehme es aber nicht an, will ja doch noch was von der Stadt sehen und dann die 30 km angehen. Mit einem Börek setze ich mich irgendwann in den Stadtpark, und dann geht es los: Kappadokien. Jedenfalls seine südwestlichen Ausläufer. Sofort hinter der Stadt wandelt sich das Landschaftsbild. Erste rötliche kegelförmige Felsen, später immer mehr canyonartige Felssäulen. Die Straße – leider sehr viel voller als bisher – schraubt sich etwa 200 Meter hinauf (teilweise steil, ich muss manche Passagen schieben), und die Ausblicke werden immer unglaublicher.
Mein Ziel ist das kleine Dorf Selime, von dort aus möchte ich morgen im Ihlara-Tal wandern. Im Ort beginnen die für Kappadokien typischen Felsen mit Höhlen, ehemaligen Wohnräumen, Kirchen und Klöstern – all das sehe ich schon am Wegesrand und werde es in den nächsten Tagen erkunden. Vorfreude ohne Ende.
Doch für heute suche ich einen Schlafplatz und finde ihn in einem kleinen Flussrestaurant hinter dem Dorf. „Camping“ kann man es zwar nicht nennen, es gibt keinerlei nutzbare Zeltfläche, aber nach wenigen Minuten wird mir angeboten, ich könne in einem der Restauranträume auf dem Boden schlafen. Was ich glatt mache, auch wegen der Millionen Mücken scheint mir dies die vorteilhaftere Variante gegenüber dem Zelt.
In Regensachen gekleidet – spart Autan und hilft ebenfalls gegen Mücken – setze ich mich schließlich in eine Sitzgruppe über dem Fluss und esse und lese und schreibe und sitze da. Bis ich früh schlafengehe. (Übrigens fällt mir heute erstmals auf, dass es abends frisch wird. Ich ziehe nämlich später noch lange Sachen unter die Regenklamotten, nicht ohne mich darüber zu freuen, dass ich gerade friere. Auch tagsüber wird es kaum mehr über 30 Grad. Sehr angenehm also.)
Ein Tag im Ihlara-Tal
Ich sollte die Bilder sprechen lassen. Die Anblicke sind unglaublich. Ich laufe den ganzen Tag mit vor Staunen offenem Mund herum. Deswegen hier nur ein paar wenige Tageserkenntnisse:
* Wenn ein Wanderweg von offiziellen türkischen Stellen auf 6 Stunden angegeben wird, dann braucht man nur 3,5. (Und ich bin durchaus keine schnelle Wanderin. Und habe unterwegs viele Fotos gemacht, Brombeeren gegessen, mich in Höhlen umgeschaut …)
* Der kostenlose Abschnitt des Ihlara-Tals von Yaprakhisar nach Belisirma ist weitaus spektakulärer als der für 15 Euro verkaufte „offizielle“ Wanderpfad von Belisirma nach Ihlara. Zumal dieser übermenscht und mit lauter Infrastruktur – Teegärten, Selfiestühlen und sonstigen überteuerten Vergnügungspoints – versehen ist. (Die 15 Euro haben sich trotzdem gelohnt. Einfach für diese Erkenntnis. Und weil ich – da ich ja schnell wanderte – es noch schaffte, mit demselben Ticket in die Selime-Kathedrale zu kommen. Denn beides darf man am gleichen Tag damit machen. Wie man allerdings von Ihlara nach Selime kommt, das ist einem selbst überlassen. Kombi-Ticket mit Haken, sozusagen.)
* Der türkische Bus – eben von Ihlara nach Selime – wirkt wie ein russisches Marschrutka und wird vorwiegend von Frauen benutzt. Wegen beidem habe ich die kurze Fahrt sehr genossen. Ebenso wie die abenteuerliche Suche nach Bushaltestelle und Abfahrtszeit. Denn Schilder und Co wären ja zu europäisch.
* Irgendwie ziehe ich die spannenden Menschen an: Im Bus fragt mich eine Frau ins Gesicht, ob ich deutsch sei, sie habe lange in Duisburg als Lehrerin gearbeitet, jetzt sei sie pensioniert und hierher zurückgekehrt, und sie sei begeisterte Radfahrerin. Upps. Denkt sie genauso wie ich. Über dem Hin und Her von Tipps und Navigations-Apps verpasse ich fast meinen Ausstieg. Aber der Bus wartet geduldig, bis ich mein Geraffel gepackt, den letzten App-Namen in ihr Handy getippt und bezahlt habe. Schade, dass wir in der Eile vergessen haben, Kontakte zu teilen – DAS wäre auch wieder ein sooo spannender weiterer Austausch gewesen.
* Noch vor dem Finden der Bushaltestelle denke ich daran, nach Selime zu trampen. Tatsächlich halten auch drei Autos an. Sie wollen aber alle in andere Richtungen. Was ja normal ist, wenn man schon vor der großen Kreuzung den Daumen rausstreckt. Berührend dabei ist zu erleben, WIE unangenehm es den Menschen jeweils ist, mir sagen zu müssen, dass sie eben woanders hinfahren und mich leider nicht mitnehmen können. (Ich vermute, irgendwann wäre ein Auto auch extra für mich in meine Richtung gefahren. Nur hatte ich da ja eben schon die Bushaltestelle und die baldige Abfahrtszeit erkundet.)
* Wenn am Eingang des Ihlara-Tals eine Drohne über dir fliegt, kann es sein, dass diese einem regionalen Fernsehteam gehört. Das dich dann anspricht, kurz ausfragt und überredet, für eine lokale Fernsehsendung ein Interview zu geben. Und dass du nicht genug Ausreden hast, um dies zu verweigern. (Naja, auch aus Mitleid. Ich glaube, auf diesem Weg kommen nur drei Tourist*innen in der Woche vorbei.)
Nach der Rückkehr ins Restaurant verlege ich meinen Schlafplatz nochmals, ich habe Lust auf eine Nacht im Zelt. Im nächsten Ort gibt es eine Möglichkeit mit grüner Wiese. Und doch … wird das wieder nichts. Benachbart ist ein kleines Picknickrestaurant, betrieben von einem älteren Ehepaar, und die beginnen umgehend mich zu umsorgen. Richten mir warmes Wasser in ihrem eigenen Bad – man duscht sich nicht, sondern schüttet aus einer Art Messbecher das Wasser über sich, Abfluss ist die Toilette (also die türkische: die ist ja in den Boden eingelassen; mit Messbecher und Wasserhahn übrigens funktioniert oft auch die manuelle Klospülung – allmählich werde ich fit in türkischen Sanitärgegebenheiten). Dann soll ich Corba essen und ihren hausgemachten Ayran, Salat bringen sie mir auch noch. Und schlafen darf ich natürlich nicht auf der wilden Wiese, sondern in ihrem Restaurantgartenhäuschen, in einem teppichausgelegten Raum mit Vorhang und Fliegengitter, mein Fahrrad soll auch mit einziehen. Na gut. (Ich glaube, für die Menschen hier ist es unvorstellbar, dass ich total gern im Zelt schlafe. Wie kann ich das denn vermitteln? Denn ich hätte heute zum Beispiel in diesem Park echt gern mal wieder im Freien geschlafen.)
Radreisetag 22: Von Selime nach Güzelyurt, wo ich noch einen Tag bleibe
Nach der Bungalownacht setze ich mich immerhin zum Frühstück raus, koche Kaffee, genieße die Stille im Park (bis ein Team Forstarbeiter anfängt zu tun, was sie wohl eben tun müssen). Vor der Abfahrt werde ich schon wieder umsorgt, bekomme Tees und einen Riesenbeutel Gemüse – und darf für alles zusammen, es ist ja ein Restaurant, keine Einladung gewesen, ausnahmsweise etwas bezahlen. 250 TL nämlich, das sind keine 7 Euro.
Der Weg nach Güzelyurt ist kurz, aber hat 400 Höhenmeter (damit man diesen Tag überhaupt als Radreisetag bezeichnen kann:)). Ich trete ohne Anstrengung aufwärts, das macht vermutlich die unglaubliche Landschaft ringsum. Mittags bin ich da, in Güzelyurt, wo ich einmal mehr touristisch unterwegs sein will. Das bezieht sich auch auf die Unterkunft: Ich miete mich in einem sogenannten Höhlenhotel ein. Na gut, mein Zimmer ist nicht ganz eine Höhle, sondern nur ein aus Fels gebauter Raum in einem riesigen Areal von in den Fels eingelassenen Terrassen, aber es ist dennoch urig.
Der kleine Ort ist verschlafen, ich auch, außerdem habe ich ein paar kleinere Reparaturen, Wäsche und Kindergeldsachen zu erledigen. Ich trödele den Nachmittag also im Wesentlichen damit herum, schlendere durch die Gassen, sitze mal hier mal da und gehe Abendessen (ein sehr seltsames Erlebnis, da man in diesem Restaurant partout nicht verstehen will, dass ich draußen statt drinnen sitzen möchte und dies ernst meine – ich bin kurz davor zu gehen, als man mir doch noch einen Tisch auf einer sehr abgelegenen Terrasse deckt – denn ja, Tische für draußen gibt es durchaus, ich verstehe bis zum Schluss nicht, was deren Problem mit meinem Wunsch war:)).
Am nächsten Tag wandere ich ins sogenannte Klostertal, ein immer schmaler werdender Pfad zwischen Felsen, in denen überall Höhlen – und eben zuweilen auch ehemalige Klöster – sind. Zum Ende hin läuft man zwischen alten Olivenbäumen in einem ausgetrockneten Bachbett, kann über sich die Felsen kaum noch sehen … und ist ganz allein.
Dieser Spazierweg kostet übrigens wieder Eintritt. Ich vermute, das wird jetzt in Kappadokien überall so sein. Dafür kann man mit dem Ticket noch fünf unterirdische Städte besichtigen. Ich gehe in eine davon. Vielleicht ist es wirklich eine ganze Stadt, das kann ich leider nicht herausfinden. Denn überall, wo der Weg nach unten führt – mit offiziellem roten Pfeil gekennzeichnet – sind in senkrechten Felstunneln Tritte in der Wand … und sonst nichts. Keine Stufen und keine Haltegriffe oder -seile. Ich bin ja wirklich weder ungeschickt noch ängstlich, aber diese Wege gehe ich definitiv nicht. Rutscht man ab … nicht vorzustellen. Und ob man wieder hochkommt? Ich weiß gar nicht, für wen dieses Abenteuer gedacht ist, für mich jedenfalls nicht. Auch wenn ich es bezahlt habe:)
Abends sitze ich wie am ersten Abend auch auf der großen Hotelterrasse mit Blick. Diese ist leider tagsüber nicht nur ziemlich voll (naja, gemessen an meinen sonstigen Einsamkeiten), sondern auch in Musik getränkt, was ich gerade überhaupt nicht gebrauchen kann. Aber spätabends – ha – da wird es still und zu meinem Reich.
Radreisetag 23: Von Güzelyurt nach Derinkuyu
Nach dem erneut unglaublich guten Hotelfrühstück packe ich alles zusammen, verlasse meine Höhle und fahre nordwärts, wo der zentrale Naturpark Kappadokiens liegt. Heute aber will ich erst noch eine unterirdische Stadt anschauen, die auf dem Weg liegt. Eigentlich ist schon der Weg dahin spektakulär – ich bin wirklich in diese karge Landschaft verliebt, da müssen nicht mal die bekannten Felsformationen in ihr stehen. Die ersten 15 Kilometer fahre ich Schotterstraße, mit ein bisschen Wellblech, aber es geht dennoch ganz gut zu fahren. Zwischendurch bremst mich eine Schafherde aus. Der Schäfer auf einem Pferd (und zum Glück ohne Hunde) steht geduldig dabei, wie seine nicht enden wollende Kette an Schafen und Ziegen über die Straße zieht. 800 seien es, antwortet er, weil ich die schiere Menge kaum fassen kann. (Genau so viele wie meine Schule, denke ich. Übermorgen ist Schulbeginn. Ich denke in diesen Tagen ganz viel daran, mit gemischten Gefühlen, auch Sehnsucht ist dabei.)
Später fahre ich auf Asphalt, leider heute (fast erstmals) eine stark befahrene Straße ohne Seitenstreifen, das strengt an. Kurz vor Derinkuyu wird zudem der Asphalt extrem schlecht: Schottersteinchen, Bodenwellen, Schlaglöcher – die maximale Ausbremsung. (Ich schaffe ohne Steigung und Gegenwind nur 12 km/h.)
Derinkuyu wirkt seltsam auf mich. Ich hatte eine Stadt erwartet – ist es wohl auch -, aber die vielen nichtasphaltierten Straßen, Brachen, Ruinen und völlig unwirtlich wirkenden Ecken lassen dieses Gefühl nicht aufkommen. Vielleicht ist man hier wirklich schon sehr weit weg von Europa, dass unsere Stadtkonzepte und die damit verbundenen Ordnungsgewohnheiten einfach nicht mehr gelten. Ich suche mir ein Zimmer, dann habe ich bei der Besichtigung keinen Zeitdruck. Im ersten Hotel reagiert man ganz seltsam: Es sei „closed äh full“, ich solle ins andere gehen. Ist ok, für 500 TL (15 Euro) bin ich dabei. (Am ersten Hotel gehe ich abends zufällig noch öfter vorbei, da tummeln sich in der Lobby viele sehr dubiose Gestalten, die abwechselnd Möbel mal aus- mal einräumen, während aufgeregt wirkende Scheinbar-Chefs mit den Armen wedeln und versuchen irgendetwas zu dirigieren. Ich wüsste gern die Geschichte dahinter.)
Aber ich bin wegen der unterirdischen Stadt hier: Großartig! Obwohl natürlich nur ein Teil zugänglich ist – bis zu 25.000 Menschen hatten darin Platz, vor vielen Tausend Jahren -, kann man sehr lange darin umherlaufen. Es ist allerdings sportlich, denn die Gänge gehen bis in 55 Meter Tiefe und sind – anders als neulich – zwar mit Treppenstufen versehen, die Gehhöhe ist allerdings oft so niedrig, dass sogar ich nur gebückt laufen kann. Menschen mit 2 Meter Körpergröße müssen vermutlich den Entengang benutzen, der dann aber wiederum wegen der schmalen Breite schwierig wird. Ja, Klaustrophobie darf man dort nicht haben. Aber ich genieße es. Auch wenn es schweißtreibend ist. (Denn wider Erwarten ist es unten sehr warm. Ich hatte mir extra noch eine Jacke mitgenommen.)
Dem Vorplatz des Museums sieht man an, dass hier täglich 2000 Touristen vorbeikommen. Stände, Cafés, Restaurants, sogar Kamelreiten, alles was touristische Orte so auffahren. (Und eine orthodoxe Kirche steht dort. Leider geschlossen.) Weil die Hochsaison aber wohl vorbei ist, ist es dennoch angenehm leer, auch unten in der Stadt ja schon.
Am Abend lebt das Stadtzentrum ein wenig auf, nicht von Touristen, sondern von Einheimischen (wie immer: nur Männern). Ich gehe essen, spaziere zu einem Park – mit einer riesigen postsowjetisch wirkenden Statue, sicher Atatürk, und ansonsten ein paar Familien, die wie ich durch die Absperrung hineingeklettert sein müssen – und bin früh im Bett.
Radreisetag 24: Von Derinkuyu nach Göreme
Der Tag beginnt mit einem Highlight: Dank Polarsteps sehen wir, dass wir keine 10 km entfernt voneinander übernachten, also verabreden wir uns zum Frühstück mit Mira und Marcus, mit denen ich schon am Tuz Gölü einen Tag verbracht hatte. (Was für Zickzacklinien: Wir fahren alle von Istanbul nach Georgien, sind uns aber jetzt schon zweimal in fast entgegengesetzter Richtung begegnet. – Wir sind sicher, das war nicht das letzte Mal:))
Jedenfalls stellen wir gemeinsam fest, dass der Ort keine Frühstücksinfrastruktur hat, kaufen die einzigen nichtsüßen Teilchen und dazu drei rosarote Eclairs, setzen uns auf den touristischen Rasen, später noch in ein Gözleme-Café und reden ein paar Stunden. Total schön. Und dann fahren die beiden Richtung Süden und ich Richtung Norden weiter.
Wie schon letztes Mal profitiere ich sehr von den Tipps über meine nächste Zielregion. Auch wenn ich die Straßenvorwarnung leider nicht umfahren kann, das wäre zu weit: Etwa 5 Kilometer muss ich mich auf einer Baustelle bergauf quälen. Schon der lose Schotter ist kaum zu fahren. Dazu wirbelt jedes vorbeibretternde Auto (offizielle Sperrungen werden offenbar nicht so ernst genommen), Unmengen von Staub direkt von der Straße in meine Augen, Nase und Mund. Jedes Mal bleibe ich stehen, um wenigstens die Augen schließen zu können. Am Ende schiebe ich eh nur noch, weil das Hinterrad auf dem Schotter zu oft durchdreht.
Irgendwann bin ich oben und damit am Ende der Baustelle, der Felsen von Uchisar taucht in der Ferne auf, meine Vorfreude wächst. Nach Einkauf und unzähligen Fotostopps biege ich auf einen sandigen Weg oberhalb des Love Valleys ab, irgendwo an der Geländekante möchte ich übernachten.
Nun bin ich spät dran, überall stehen schon Vans und andere Autos – keine anderen Radreisenden:( – deswegen fahre ich bis fast zum Ende des Plateaus. (Was sich am nächsten Morgen als Volltreffer erweisen wird.) Dort finde ich dann doch noch ein Plätzchen nahe der Kante, bekomme von dem türkischen Paar im Nachbarzelt einen Begrüßungstee, baue in der einbrechenden Dunkelheit mein Zelt auf und begnüge mich heute mit kalter Küche. Es gibt so viel zu sehen in der dämmrigen Felsenwelt, und ich will früh schlafen, weil ich ja morgen sehr früh aufstehen will.
Der Früh-Schlafen-Plan geht leider nicht auf, in der ersten Nachthälfte legt der Wind zu, wächst sich zu Böen, fast Sturm aus. Vor allem weht Sand in mein Zelt – ich hatte nur das durchlässige Innenzelt aufgebaut -, also in Augen, Mund und alle Sachen. Auch habe ich Angst um mein Gestänge. (Wegwehen schließe ich aus, solange ich drinliege.) Da man keine Heringe in den Fels schlagen kann, lege ich mein Fahrrad auf den Boden und binde das Zelt mit drei Schnüren daran fest, mit Überzelt natürlich. Endlich schlafen …
Drei Kappadokien-Tage
Sie beginnen mit einem überraschenden Faszinosum: Mein Zelt steht inmitten eines der Ballonstartplätze. Das hatte ich nicht geahnt. Gegen 4 Uhr am Morgen denke ich noch, was das denn für – tschuldigung: bescheuerte – Touristen sind, die da zuhauf am Morgen auf die Aussichtsplattform rollen anstatt dort schon zu übernachten. Als die Geräusche rings um mich immer absonderlicher werden, wage ich einen Blick aus dem Zelt: Da stehen Jeeps mit großen Anhängern. Motoren. Still agierende Männer. Ballonplanen. Irgendwann blähen sich die Planen auf zu halben und bald schon ganzen Birnen. Körbe. Menschen, die aus Kleinbussen krabbeln. Feuerschübe, die die Ballons von innen erleuchten. Sich aufrichtende Birnen. Menschen, die in Körbe krabbeln. … Das alles keine 30 Meter von meinem Zelt. Ich bin völlig perplex, sooo nah im Geschehen zu sein.
Ja, das hat schon was. Als sie abheben, streifen sie fast mein Zelt. Ringsum in alle Richtungen starten Dutzende Ballons. Der Himmel bekommt allmählich Morgenröte. Und füllt sich mit Ballons. Am Ende werden es 150 oder 200 sein. Manche fliegen dicht über unsere Plattform, man kann sich fast die Hand reichen. Manche sind ganz hoch am Himmel. Andere tauchen ab ins Love Valley, das unter unserer Plattformkante liegt. – Spannend, für mich als Physikerin, dass das Ganze überhaupt funktioniert. Die Ballons lassen sich ja nur nach oben und unten steuern, durch Aufheizen oder Warmluftablassen. Die Flugrichtung wird allein von der Luftströmung vorgegeben. Nun könnte man sich vorstellen, dass im Laufe der Stunde (länger fliegen die meisten nicht) alle Ballons also in eine Richtung davondriften. Mitnichten. Es ist ein wildes Hin und Her. In allen Bereichen – oben, unten, zwischen den Felsen, über den Plateaus – strömt die Luft in verschiedene Richtungen. Ich hätte mal mit Stativ und Zeitraffer aufnehmen sollen, wie verwirbelt diese Luftströmungen sind. Es grenzt für mich an ein Wunder, was da thermisch abgeht.
Was ansonsten rings um mich noch abgeht, ist auch zum Wundern. In anderem Sinne allerdings. Zeitgleich mit den Ballons taucht ein Universum an absonderlichen Auswüchsen des Massentourismus auf. Fotoshootings in riesigen roten wallenden (wallend gemachten:)) Kleidern. Hochzeitspaare an „Marry-me“-Ständen und vor Ballons im Hintergrund, ebenfalls von Fotografen umringt. Fotoshootings auf Jeeps. Ja, überhaupt Jeeps: Gebuchte Kolonnen von „Safari“-Jeeps durchrasen die Landschaft. Auf einem Plateau stehen zwischenzeitlich über 60 Stück. Ein Foto auf der Motorhaube scheint mit zum Programm zu gehören. (In jedem der 60 Jeeps sitzen bis zu 4 Personen. Ein ganzes Universum an verschiedenen Motorhaubensitzstilen. Berittene Kamelkolonnen. Pferdetourist*innen. Kleinbusse zum Nur-mal-Gucken. Zur Abwechslung mal ein Shooting im gelben Kleid. Oldtimer-Fotoshootings.
Dazu stehen ringsum ja noch mehr als ein Dutzend Vans, die dort übernachtet haben. Na gut, ich ja auch, als einziges Zelt. Was ich mit den anderen teile: Ich mache auch viele Fotos. Irgendwie will man den Zirkus festhalten. Und die Ballons vor Natur, das sind natürlich wirklich grandiose Bilder. (Meine Drohne fliegt auch mal kurz. Bin allerdings noch zu unerfahren und also unmutig, ich will ja nicht, dass der Kleinen was passiert. Und da noch mindestens fünf andere Drohnen in der Luft sind und ja immer wieder Ballons dicht über uns fliegen, habe ich ein wenig Angst um sie und hole sie schnell wieder runter.)
Kurze Zeit später ist der Spuk vorbei. Die Ballons sind am Landen – die Passagiere, die ja immerhin an die 200 Euro bezahlt haben – bekommen nach der Landung einen Sekt, dann steigen sie wieder in ihre Kleinbusse und fahren weg. Die Fotoshootings sind fertig, die Jeeps ziehen weiter durch die (ohne sie) stille Landschaft, die Vans packen zusammen, und als mein Kaffee noch nicht ausgetrunken ist, bin ich ganz allein auf dem Plateau.
Wie ein kurzer, unrealistischer Traum. – Jetzt kann der ruhige Teil meiner Kappadokien-Tage beginnen.
Nach diesem fulminanten Auftakt ist mir nach mehr Ruhe. Auch möchte ich nicht jede Nacht auf dem Zeltplateau fast wegwehen. Also miete ich mich auf einem Zeltplatz ein. Der kostet etwa doppelt so viel wie mein letztes Hotelzimmer. Naja, so ist das hier eben, gilt auch für Imbisse, Cafés und Essengehen (was ich deswegen in den Tagen nie mache) und für all die touristischen Attraktionen (die ich sowieso nicht machen will).
Zum Glück ist wenigstens dort die Hochsaison vorbei, jedenfalls steht man nicht dicht an dicht in den Parzellen. Es gibt Wasser, um all den auf dem Plateau eingefangenen Staub von Zelt, Taschen und Klamotten zu spülen und Wäsche zu waschen, mich selbst auch – sogar einen Swimmingpool -, genug Steckdosen und in Fußnähe den Ort Göreme. Dieser ist Teil des Zirkus‘, außer zum Supermarkt laufe ich lieber nicht länger in ihm umher.
Tagsüber wandere ich in verschiedenen Tälern, die Felsformationen sind überall unterschiedlich und immer wieder neu faszinierend, die Wege sind nicht ganz so voll wie auf den Plateaus (aber eben doch auch recht viele Menschen), die belebten Orte versuche ich zu vermeiden. Morgens schaue ich mir in Ruhe vom Zeltplatz aus die Ballons an – und freue mich auf die Tage, wo ich endlich wieder ausschlafen darf:))
Viel mehr passiert nicht. Außer dass ich für die letzte Nacht doch noch mal auf ein Plateau ziehe, ein anderes diesmal. Die Nacht ist ähnlich windig und sandig, der Morgen viel ruhiger, weil dort niemand startet und landet und shootet. Nur dicht über uns hinweggeflogen wird hier auch.
Am vierten Tag reise ich ab. Ob ich wiederkommen möchte? Ich weiß nicht. Natürlich ist die Natur mit ihren unglaublichen Felsformationen fantastisch, das kann man so woanders wohl nicht erleben. Ebenso sind diese Ballonbilder schon optisch eindrücklich, muss ich gestehen.
Aber der Zirkus ringsum, die Menschenmassen, die damit verbundene allgemeine Unfreundlichkeit, das Gedränge, die Absurdität, das Überlaufene … ich glaube, das brauche ich nicht nochmal. (Wobei: Ich war nun auch vier Tage mit meinem Zelt nahe bei Göreme. Vielleicht sollte man einfach 5 Kilometer weiter weg gehen, egal in welche Himmelsrichtung. Dann hat man immer noch all die Natur, aber nur noch einen Bruchteil der touristischen Auswüchse. Und das wiederum ist dann auf jeden Fall eine (weitere) Reise wert. So wie ja auch all die Orte, in denen ich vorher schon war, angefangen vom Ilhara-Tal.)