Seen suchen und Ruhe finden
18. bis 27. August 24: Von Afyonkarahisar nach Konya
Radreisetag 9: Von Afyonkarahisar nach Akkeçili
Am Morgen rede ich im Hotel wie schon am Abend vorher kurz mit einer Gruppe junger deutschtürkischer Frauen, die hier im Land ihrer Großeltern Urlaub machen – eine sehr spannende und herzliche Kurzbegegnung. Interessant, dass sie meine Eindrücke bestätigen: wie konservativ es hier in der Stadt sei, wie schwer auszuhalten, gerade als Frau (obwohl sie ja viel mehr Einblick haben und die Menschen viel besser verstehen können). Das tut mir irgendwie gut. Auch, dass ich mal für eine Weile tiefer und differenzierter in meiner Muttersprache reden kann. Das fehlt mir jetzt schon, nach nur zwei Wochen – upps, das hatte ich so nicht erwartet.
Dann fahre ich los, der Tag wird heiß, ich möchte trotzdem weit kommen, um an einem See zu übernachten. Die erste von den drei Steigungen des Tages nehme ich noch souverän, bei der zweiten brauche ich schon Pausen, und bei der dritten am Spätnachmittag habe ich dann richtige Energiemangelhänger. Komme aber irgendwie trotzdem hoch, schieben geht ja immer. Oben gibt es dann nicht nur fantastische Rundumblicke, sondern auch erstmals eine Art Pass-Schild, für mich zur Belohnung. 1440 Meter hoch bin ich. (Rausche aber von dort 500 Höhenmeter gleich wieder runter, an den „Ziel-See“.)
Dazwischen gibt es Landschaft vom Schönsten, viel Einsamkeit und viel Tee: solchen, den ich trinke, und solchen, zu dem ich die Einladungen ablehne. (Würde ich alle annehmen, käme ich nie in 90 Tagen von West nach Ost durchs Land.)
Den ersten Tee des Tages bekomme ich von Polizisten, die mich von der Straße winken, Passportkontrolle. Eigentlich aber wollen sie wohl nur mit mir sitzen bei Tee und Wasser:) Eine Frühstückseinladung beim Bäcker schlage ich aus, dafür nehme ich die an, als mich von der Straße in the middle of nowhere ein Mann in sein „Zelt“ winkt: ein Schattenunterstand, wo er mit seinen Eltern und Kindern die Pausen verbringt, während sie alle zusammen auf dem Feld arbeiten. Es ist Sonntag, und trotzdem sind die Felder voll von schwer arbeitenden Menschen. Im Schatten von A.s Familienzelt sitzen wir also, reden über seine Felder, die Arbeit, Schule und Kinder (meine und seine), ich bekomme Tee und Melone, und sehr herzliche Umarmungen. (Das Angebot, bei ihnen zu übernachten, lehne ich dennoch ab. Ich möchte ja an den See.)
In zwei Teestuben bleibe ich noch sitzen, an vielen fahre ich vorbei. Man fragt mich nach meiner Reise, mir wird gewunken, ich bekomme Gepäcktransportangebote, viel grüßendes Hupen (die Autos ahnen nicht, wie sehr man sich dabei immer erschrickt), und am Abend rolle ich tatsächlich auf den See zu, es ist schon fast dunkel. Zu meiner Enttäuschung komme ich aber nirgends auch nur annähernd ans Wasser – dann hätte ich ja auch auf der Höhe schlafen können – und lege mich letztlich in einem verwaisten Picknickbankareal nieder, wenigstens in Seenähe. Weil es spät ist und ich faul bin, schlafe ich wieder ohne Zelt, nur auf der Matte. Die Mücken freut es:)
Radreisetag 10: Von Akkeçili nach Eğirdir
Aus guten Träumen werde ich geweckt, weil plötzlich eine Schafherde fast durch mein Schlafzimmer läuft. Kurz darauf folgen Gänse, mit einer Frau, die mich sehr freundlich grüßt. Ich bin also mit einem Schlag wach, obwohl es noch gar nicht richtig hell ist. Das frühe Aufwachen hält mich aber nicht davon ab, trotzdem lange an meinem Morgenort sitzen zu bleiben. Ruhige Morgenstunden sind irgendwie essentielles Ritual für mich. (Zu Hause stehe ich auch immer drei Stunden vor Schulbeginn auf, einfach um diese ruhige Zeit für mich zu haben.)
Ohnehin will ich heute nicht weit, denn in etwa 40 Kilometern ist ein Campingplatz am Seeufer, der soll mein Ziel sein. Meine gestrige Energielosigkeit kommt vielleicht von einer sich anbahnenden Magen-Darm-Situation, denke ich mehrmals am Tag, und schiebe auch heute viel, obwohl es gar nicht viele Höhenmeter sind. Jedenfalls bin ich froh, als ich schon am Nachmittag den Platz erreiche. Ich lege mich zu einem Schläfchen nieder. Der See ist leider wasserarm und grün und riechend, also krank – und ich will es nicht werden, also gehe ich nicht hinein.
Statt dessen: Liegen, kochen, sitzen, schreiben, denken, träumen, essen, schauen, all das. Wie wenig Zeit wir uns im Leben oft nehmen für diese essentiellen Dinge. Hier habe ich satt Zeit dafür – und genieße es. Fast stört das Radfahren dabei ein wenig;-)
Radreisetag 11: Von Eğirdir nach Gelendost
Kurz vor meinem Aufbruch vom Campingplatz kommt es doch noch zu einer herzlichen Begegnung, während ich gestern eher beäugt wurde – so als alleinreisende schulterfreie kurzhosrige Frau, die dann auch noch Bier kauft und trinkt:) Heute morgen scheint es, als haben die Männer, die in meiner Nähe zelten, nur darauf gewartet, bis ich voller Interesse ihren holzbetriebenen Outdoor-Samowar begutachte – umgehend überschütten sie mich mit Tee, Fragen, Hilfsangeboten (sie sind Polizisten in Istanbul und könnten mir in jeder Lage aus der Patsche helfen;-)), Simmits, Tomaten und einem Pfirsich – alles, was sie halt haben.
In der kleinen Stadt Eğirdir geht es so weiter, ich sitze, schneller als ich schauen kann, vor einem Wohnmobil und bekomme auch wieder Tee, Wasser und Äpfel. (Als ich später am Tag am Pausenplatz eine italienische Bikergruppe treffe, kann ich von deren Essensangeboten gar nichts annehmen – ich muss ja erstmal die türkischen Geschenke wegessen. Das können die vier gut verstehen:.))
Eğirdir ist ansonsten traurig anzuschauen. Vermutlich bleiben wegen des um vier Meter gesunkenen Wasserspiegels auch die letzten Reisenden weg, die Pensionen stehen leer, Strandlokale wirken wie lost places, es ist eine fast schon gruselige Atmosphäre. Wie schade, wie tragisch für den kleinen Ort.
Ich fahre erst am Nachmittag weiter von dort, also will ich gar nicht mehr weit kommen. Die Fahrt am Ostufer des Sees nach Norden ist optisch eindrucksvoll, nur ziemlich heiß. Abgebogen ins „Landesinnere“ fahre ich durch endlose Apfelplantagen – wegen der Felsen im Hintergrund sieht es ein wenig aus wie in Südtirol:) – und entscheide mich schon in der nächsten kleinen Stadt Gelendost, auf Schlafplatzsuche zu gehen. Wieder ein Volltreffer – gibt es hier eigentlich etwas anderes? In einem sehr schön gestalteten Teegarten zeigt mir die Familie sofort den kleinen Gebetsraum, in dem ich mich heute Nacht niederlegen soll. Dann bekomme ich Rundumführungen durch Garten und Haus, alle Tiere vorgestellt, Getränke ohne Ende, viel spannende ÜbersetzungsApp-Kommunikation und einige Türkischlektionen von den Kindern verschiedenen Alters, vor allem von der kleinsten Tochter, sie ist neun, die den ganzen Abend an meiner Seite ist.
(Und am Nachbartisch sitzt ein Mann, der in Deutschland in meinem Nachbarort wohnt:))
Radreisetag 12: Von Gelendost nach Budak
In dem kleinen Gebetsraum habe ich sehr gut geschlafen, ebenso gut sitzt es sich in dem Garten, in dem ich am Morgen allein bin. Nur ein Mitarbeiter kommt irgendwann vorbei. Als er mich Kaffee kochen sieht, fährt er noch einmal weg und bringt mir eine Tüte Backwaren. Ich hatte hier wirklich die kleine Oase erwischt, denn als ich morgens wiederum durch den Ort fahre, wirkt der ebenso grau und unwirtlich wie am Abend.
Auf geht’s auf die Straße letztlich Richtung Konya, aber ich möchte vorher noch am Ufer des Beyşehir-Sees entlangfahren, vielleicht kann man dort baden und Seeblicke ohne Geruch genießen.
Die Straße dorthin ist zäh. Dass es eine große Straße mit wenig Kurven und einigen Steigungen ist, ist dabei noch das am wenigsten anstrengende. Die Hitze und der im Laufe des Tages zunehmende Gegenwind fordern. Ich fühle mich schon nach wenigen Kilometern zermürbt, starre auf die Kilometer- und Höhenmeteranzeige und trete so vor mich hin. Es will überhaupt nicht vorwärts gehen. Im Kopf gehe ich durch, wie viele Kilometer ich mindestens machen muss, damit ich am Freitag sicher in Konya ankomme, diese mindestens nehme ich mir vor, um in dem starken Wind irgendein Ziel zu haben.
Als mich zwischendurch ein Motorradfahrer ausbremst, um mir Gemüse zu schenken und mich zu sich einzuladen, bin ich fast schon ein bisschen ungehalten. Das Gemüse kann ich nicht ablehnen, obwohl es viel zu viel ist (und ich das jetzt alles schleppen muss:)), die Einladung lehne ich ab.
Lieber mache ich in der baldigen und einzigen Kleinstadt eine Pause und versuche dort etwas zu essen. Doch das gelingt nicht: In der Stadt ist Markt. Einmal die Woche, ich habe treffsicher diesen Tag erwischt, wo ich alsbald mit meinem Rad in einer riesigen kaum zu durchquerenden Straßenverstopfung hänge, mich wie auf einem Weihnachtsmarkt durchschieben lassen muss, keinerlei Tomaten, Bohnen oder Kartoffeln brauche, obwohl mir diese von allen Seiten angepriesen werden, und eigentlich nur einen Supermarkt mit Schattenfußboden davor will, so als Minimalwunsch.
Ja, irgendwann bekomme ich den. Von der Zuschauerbank macht es wieder Spaß, das Markttreiben zu beobachten. Doch bald muss ich weiter, einen nächsten Anstieg gegen den Wind habe ich mir noch für heute als Ziel gesetzt, also los.
Es ist und bleibt zäh. Als ich endlich oben bin, ist der Wind so stark geworden, dass ich auch bergab treten muss. Geeignete Schlafplätze sehe ich rechts und links der Straße auch nicht, ich bin nach dem zehrenden Tag sehr entscheidungslos und lande irgendwann in einem „Familienspielplatz“ genannten Wäldchen. Während ich mir Salat mache, rücken in direkter Nachbarschaft Auto um Auto an, ausschließlich Männer, die irgendetwas feiern und dabei Alkohol trinken (was es hier ja nicht oft gibt). Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich hier also besser nicht schlafen sollte, schließlich haben mich alle gesehen.
Also breche ich nach dem Essen nochmal auf, es ist schon dunkel, fahre fünf Kilometer weiter, biege in ein Dorf ab und zur nächstbesten Moschee hinein. In deren Garten lege ich mich auf ein Rasenstück, nicht ohne vorher gegoogelt zu haben, wann morgen die erste Gebetszeit ist, damit ich rechtzeitig weg sein kann. (Ich stehe am Morgen tatsächlich um vier Uhr auf und verlege mich auf den benachbarten Spielplatz, um – etwas unbequemer – weiterzuschlafen. Letztlich wird aber niemand in die Moschee kommen, ich hätte ruhig dort liegenbleiben können:))
Radreisetag 13: Von Budak nach Üçpinar
Nach einer kurzen Nacht im Moscheengarten und einigen Nachholschlafstunden in einer Spielplatzsitzgruppe denke ich mir so, am besten am Seeufer zu frühstücken. Unter erstaunten Blicken weniger Bewohner des kleinen, einsamen Dorfs rolle ich durch dessen Straßen, auf den See zu. Doch an diesen komme ich nicht heran. Überall ist Schilf, schattenlose Wiese und kein Wasser in Sicht. Also doch zurück zur Moschee, um Kaffee zu kochen.
Die Morgenstraße ist wunderbar. Autoärmer als am Vortag geht es durch fast schon öde zu nennende Felderlandschaft, in der Ferne immer der diesige See und die Berge am anderen Ufer. Solche Wege mag ich. Nach einigen Kilometern biege ich ab zu einem hethitischen Quellheiligtum mit geplanter touristischer Attraktivität – wenn man das sich im Bau befindliche „Besucherzentrum“(?) betrachtet, das für den kleinen stillen Ort sehr überdimensioniert wirkt. Heute sind zum Glück nur wenige (türkische) Familien hier, die Kinder spielen im Wasser, man picknickt, ich bekomme einen Tee und erfreue mich an der Stille.
Weiter in Richtung Beyşehir verdichtet sich der Autoverkehr, die Straße ist eng, es ist anstrengend.
In der Stadt schaue ich mir die Moschee mit ihren hölzernen Säulen an, ein unglaublich schöner Ort. (Perfekt, wäre ich nicht am Eingang darauf hingewiesen worden, mir einen Rock umzubinden, weil meine Leggins nur bis zur Mitte der Unterschenkel reicht. Ich spüre, wie ich leicht ungehalten reagiere, waren doch diese meine „nackten“ Beine nur wenige Minuten zuvor quasi unsichtbar, als eine Gruppe Männer fast drauftrat, hätte ich sie – am Boden sitzend – nicht schnell weggezogen. Ich merke in den letzten Tagen, dass meine nicht gleichberechtigte Rolle hier etwas mit mir macht …)
Für heute ist mir nicht mehr nach Begegnungen, ich habe ein wenig Heimweh, auch oder gerade nach meiner Familie – darüber sinne ich nach, als ich mir am Seeufer eine schattenspendende Picknickbank suche und mir warmes Essen koche. (Will ich abends wieder in einem Dorf oder bei Menschen unterkommen, ist es sehr praktisch, schon warm gegessen zu haben, sonst reicht mir die Nahrung von Menge und Art her nicht aus, habe ich die letzten Male gemerkt.)
Als es etwas Abendkühle gibt, mache ich mich auf den Weg Richtung Konya. Die 100 steigungsreichen Kilometer sind sonst für morgen zu viel. Der Wind hat gedreht, ich fliege förmlich über die Straße. Kurz vor dem Dunkelwerden frage ich in einem Dorf nach einem Platz für mein Zelt, man schickt mich zu einem Restaurant, dessen Besitzer mich zu einem benachbarten Imbiss bringt, dort könne ich schlafen. Und tatsächlich: Ich werde mit unglaublich offenen Armen empfangen und darf mein Zelt auf der kleinen Grünfläche aufbauen. Es ist direkt an der Straße, an der Autobahn quasi, doch warum soll es mir besser gehen als der Familie, die hier in ihrem Laden und dem Unterstand davor wohnt. Die Kinder spielen bis spät abends, alle helfen mir fasziniert beim Zeltaufbau, der Inhalt meiner Packtaschen wird erkundet, mit der ältesten Tochter unterhalte ich mich lange und intensiv (das geht auch per ÜbersetzungsApp), während der Vater noch einmal seiner Straßenbauarbeit nachgeht. Die Mutter ist letztes Jahr verunglückt, und nun lebt er mit seinen Kindern hier.
Ich fühle mich wohl und geborgen, und die Autogeräusche in der Nacht blende ich offenbar aus, jedenfalls schlafe ich wunderbar.
Radreisetag 14: Von Üçpinar nach Konya
Zum Abschied bekomme ich von meiner kleinen Über-Nacht-Familie noch ein großartiges gemeinsames Frühstück, ich bin einmal mehr sehr bewegt.
Dann geht es auf den Weg, der heute harte Arbeit ist. Den ganzen Tag brüllt der Wind gegen mich an. So hatte mich die Türkei ja letztes Jahr begrüßt, als ich mich von Bulgarien nach Istanbul kämpfen musste, mit Steh- und Schieberekorden unvorstellbarer Langsamkeit. Heute ist es ähnlich. Da es in der ersten Tageshälfte fast nur bergauf geht, fühle ich mich schnell ziemlich erschöpft. Sobald eine Moschee am Wegesrand Wasser, Toilette und Schatten bietet, ruhe ich mich aus. Doch so kommt man natürlich nicht vorwärts.
In der Mitte der Strecke glaube ich plötzlich meinen Augen nicht zu trauen: Finstere Regenwolken, die sich in Windeseile gebildet haben. Als ich gerade noch an eine Art Fata Morgana glauben will, platscht es auch schon los. Ich bin überhaupt nicht darauf eingerichtet, nichts ist regendicht verpackt, ich selbst schon gar nicht, die Regensachen sind ganz unten in einer Packtasche. Auf der schutzlosen Straße bleibt also nur Weiterrasen, ich werde klitschnass, beginne zu frieren … und endlich taucht hinter einer Kurve ein verlassenes Tankstellendach auf.
Umziehpause, abtrocknen, wieder warm werden, Resteessen von gestern genießen, sitzen und das Ende des Regens abwarten. Es dauert nicht lange, bis ich weiterfahren kann.
Der Anstieg dauert, der Wind ist geduldig (ich nicht so sehr, einmal schreie ich ihn an:)), die Landschaft aber ist großartig. Berge in der Ferne, eine Hochebene, eine kleine Karawanserei am Wegesrand, und irgendwann erreiche ich den Pass: 1548 Meter steht dort.
Eine halbe Stunde runterrollen, die Straße durch die Felslandschaft gebahnt, ein kleiner Stausee ist geschaffen worden, und während ich die Felsen noch faszinierend finde, geht es schon wieder bergauf. Wieder auf über 1400 Meter, ich bin zu müde zum Treten, schiebe einige Strecken und bin nun tatsächlich ankommensreif.
Zum Glück rollt man vom zweiten Pass nur noch hinunter nach Konya hinein, das sich in endlos scheinender Ausdehnung vor mir öffnet, ein Stadtmoloch bis zum Horizont. Zehn Kilometer lang ist die Stadteinfahrt. Aber auf sehr guten Radwegen, fast autofrei bis kurz vor Ende. Und: Menschen winken mir zu, grüßen sehr erfreut, schon auf dem Radweg bietet mir ein Fahrradmechaniker Hilfe an (die ich gar nicht brauche:)), Vespa-Fahrerinnen rufen mir „Merhaba“ und „Hoş geldiniz“ zu, und am gebuchten Hotel werde ich absolut herzlich empfangen. Man trägt mit mir zusammen das Rad auf die Terrasse (über enge verwinkelte Treppen) und all mein Geraffel in mein Zimmer, wo ich mich glücklich unter die erste Dusche seit Tagen stürze.
Ein Abendspaziergang noch, in der Stadt, die nun entdeckt werden will. Der erste Eindruck ist sehr erstaunlich: Im Unterschied zu allen anderen Orten bisher scheint das Leben in dem Stadtteil meines Hotels schon am Schlafengehen zu sein, dabei ist es gerade erst 20 Uhr. Ich muss regelrecht ausdauernd nach etwas zu essen suchen – so habe ich die Türkei bisher nicht erlebt. Spannend. Von der Hotelterrasse, wo ich den Tag beende, schaue ich direkt auf eine Moschee, und irgendwo in deren Schatten sehe ich letztlich doch eine offene Teestube, auch noch nach 22 Uhr. Ich glaube, diese wird in den nächsten Tagen mein Abendort …
Vier Tage in Konya
Es war eine lange Zeit hier an diesem Ort. Und doch zu kurz. Einiges stand auf meiner To-do-Liste, die ich kaum abzuarbeiten geschafft habe. Denn der wichtigste Punkt auf der Liste hieß: zur Ruhe kommen. Und den arbeitet man ja nicht ab, indem man alle anderen Punkte abhakt:)
Aber es war trotzdem eine gute Zeit. Ich war ruhig in der Stadt unterwegs, ohne „Besichtigungsdruck“, habe viel gelesen, geschrieben, telefoniert und einfach auf der traumhaften Terrasse meines kleinen Hotels gesessen.
Was ich gelernt habe in diesen vier Tagen:
… dass ein schweres Warmwerden mit einem Ort am Anfang mitnichten bedeutet, dass man am Ende leichten Herzens abfährt,
… dass mein Bauchgefühl ganz gut funktioniert: so konservativ und verschlossen wie ich diesen Ort empfunden habe, genau so wurde er mir von (Halb)Einheimischen beschrieben (ohne dass ich danach gefragt hatte),
… dass es sehr ergreifend (und dann doch letztlich mit diesem Ort verbindend) ist, an Rumis Grab zu stehen,
… dass nichttürkische Städtenamen auf türkisch oft überhaupt nicht zu erkennen sind;
… dass Doppeldeckerstadtrundfahrten nichts für mich sind und ich in der Stadt sehr eine Freewalkingtour vermisste,
… dass es hier finstere Viertel gibt, in denen ich mir am liebsten auch eine Burka übergestreift hätte, um unbemerkt durchhuschen zu können,
… dass Mathematiklehrer*innen auch hier die gleichen Dinge erleben und empfinden,
… dass es außerordentlich leckere Pide gibt;
… dass Regen wunderbar sein kann (na ok, das wusste ich schon vorher);
… dass ich mich nach mehreren Tagen Pause SEHR aufs Radfahren freue.
Ein Kommentar
irgendlink
Ich fiebere viel miter als Du unterwegs vielleicht vermuten magst. Deine Polarsteps sind wunderbar, die Bilder grandios, der Header hier der Hammer. Macht Lust da auch in echt zu sein, statt virtuell auf dem Gepäckträger.
Gerade liest es sich, als sei es etwas durchwachsen, eine turbulente Reisephase mit nicht nur Höhen. Insbesondere das Frau sein in einer Region, in der es Frauen im Alltag noch schwerer haben gleichberechtigt durchs Leben zu gehen, scheint es eine harte Tour zu sein. Ich kann aber auch die Reiseermüdung nachempfinden, so lange alleine unterwegs. Ich sende virtuellen Rückenwind und gute Momente und das Gefühl der Geborgenheit in den Nischen des Reisealltags. Umarmung und liebe Grüße.